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Marcel Schwierin, D
Florian Wüst, D

Globalismus und Apathie - Eine Polemik
(Marcel Schwierin)

Gegen den gesunden Menschenverstand oder: zum Wert der Arbeit (Florian Wüst)

real[work] - Zur Auswahl der Film- und Videoprogramme (Marcel Schwierin & Florian Wüst)

leisure [work] - Brüder zur Sonne, zur Freizeit! (Marcel Schwierin)

gender [work] - Zur Technologie des Geschlechts (Florian Wüst)

heroic [work] - Der Neue Mensch (Marcel Schwierin)

needless [work] - Autonomie und Verweigerung (Marcel Schwierin)

global [work] - Roger & die Cybraceros (Marcel Schwierin)

corporate [work] - Do you know where your brains are? (Florian Wüst)

my [work] - Vom (berufs)tätigen Leben (Florian Wüst)

[work] of violence - Die Neue Ordnung
(Marcel Schwierin)

Marcel Schwierin

Globalismus und Apathie - Eine Polemik

"Mein Fahrer schwatzte drauflos: 'Stimmt es, dass in London ein Mann vom Staat Geld bekommt, auch wenn er nicht arbeitet?' (…) Wenn das zuträfe, müsse London tatsächlich ein himmlischer Ort sein."
Shiva Naipaul

Das Verhältnis zwischen Arbeit und Gesellschaft im ausgehenden Industriezeitalter ist paradox: Der uralte Menschheitstraum, die Befreiung von der Mühsal schwerster Arbeiten ist schon länger durch die Maschinen realisiert. Nun, im angehenden Informationszeitalter, kommt durch den Computer auch noch die Befreiung von den stupidesten, sich ewig wiederholenden Tätigkeiten, die die an sich dumme Maschine - man sagt, die "Intelligenz" eines heutigen Rechners entspräche in etwa der einer Fliege - klaglos und mehr oder weniger zuverlässig erfüllt. Arbeit, die durch Computer wegrationalisiert werden kann, ist kaum wert, vom Menschen getan zu werden.

Gleichzeitig haben die grossen Industrienationen in den letzten, für sie weitgehend friedlichen Jahrzehnten einen ungeheuren Reichtum angehäuft, der jeden aus der Vergangenheit bekannten Wohlstand um ein Vielfaches übertrifft (so betrug das private Geldvermögen der Deutschen 1996 laut Bundesbank fünf Billionen Mark, in Zahlen: 5.000.000.000.000, ungeachtet aller sachlichen Werte wie Grundstücke und Häuser sowie des gesamten öffentlichen und kommerziellen Besitzes). Es sollten eigentlich die Voraussetzungen für eine ideale Gesellschaft gegeben sein. Dennoch will keine Freude aufkommen. Statt die frei werdenden Ressourcen menschlicher Arbeitskraft und Kreativität dazu zu nutzen, sinnvolle Arbeiten zu verrichten - sei es im Sinne angeblich unbezahlbarer Notwendigkeiten, wie zum Beispiel der Pflege, sei es im Sinne der Marxschen Menschwerdung durch freie Wahl der Tätigkeit - ist Arbeit zu einer knappen Ware geworden, um die erbittertst gestritten wird. Die arbeitswillige Bevölkerung zerfällt dabei in zwei Teile: Die einen Arbeitsplatz haben, arbeiten bis zum Umfallen, sowohl intensiv in Produktivität, als auch extensiv in Überstunden; Stresssymptome und daraus folgende Krankheiten nehmen rapide zu. (So fühlten sich laut einer Studie der Fachhochschule Köln 64 % aller Beschäftigten überfordert, 93 % fürchteten um ihren Arbeitsplatz. 85 % der Angestellten im mittleren Management sollen laut Hesse/Schrader Herz-Kreislauf-Beschwerden und Magen-Darm-Erkrankungen haben, 73 % "wegen ihrer schweren Last" unter Wirbelsäulen- und Gelenkbeeinträchtigungen leiden.) Der andere, kleinere Teil der Arbeitswilligen dagegen tut überhaupt nichts mehr, weil sie keinen Arbeitsplatz bekommen, und wird davon krank: Alkoholismus, Depressionen etc.

Das Erstaunlichste jedoch an dieser tragikomischen Situation ist, dass man den Eindruck hat, niemand wolle sie ernsthaft ändern. Vor den Folgen der technologischen Arbeitslosigkeit durch Computer wird seit den 60er Jahren gewarnt. Gleichzeitig wurde in den USA ein Modell zur Lösung des Problems entwickelt, welches bis heute von vielen Wissenschaftlern befürwortet wird: das erwerbsunabhängige Grundeinkommen, das es dem Einzelnen ermöglicht, nach seinem Bedürfnis hinzuzuverdienen, oder aber auch eine ganz andere, nichtkommerzielle Tätigkeit auszuüben. Doch die gesellschaftliche Resonanz auf dieses und ähnliche Modelle ist, von dem Programm der Grünen einmal abgesehen, minimal. Stattdessen werden die immer gleichen Rezepte diskutiert, die ihre Wirkungslosigkeit schon seit Jahrzehnten unter Beweis stellen konnten: die Hoffnung auf unendliches Wirtschaftswachstum, Lohnsenkungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten, Steuersenkungen für Vermögende ("Leistung muss sich wieder lohnen"), Subventionen für Grosskonzerne, Vermeidung jeglicher ökologischer Hemmnisse. Keine dieser Massnahmen hat das Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindern können, dabei steht die digitale Rationalisierung der Arbeitswelt erst am Anfang. Das Internet etwa wird einen Grossteil der Trägermedien im Informationsbereich (CDs, Videos, Printmedien) einschliesslich ihrer gesamten Vertriebsstruktur schlicht verschwinden lassen - mit leicht absehbaren Folgen für den Arbeitsmarkt.

Hier stellt sich die Frage, warum unsere Gesellschaft dieser Entwicklung derart blind gegenüber zu stehen scheint, obwohl die überwiegende Mehrheit der Deutschen sie für das wichtigste Problem der Politik hält. Der kapitalistische Markt mit seinen "Gesetzen" wird behandelt wie eine Naturgewalt, über die das Nachdenken allein schon ein Frevel sei, so als hätte der Homo Sapiens in den 100.000 Jahren seiner Existenz nicht 99.500 Jahre ohne Kapitalismus gelebt (und seine neueste Errungenschaft, die soziale Marktwirtschaft, ist gerade mal ein paar Jahrzehnte alt). Das von Francis Fukuyama postulierte Ende der Geschichte nach dem Mauerfall dürfte daran gemessen eine der masslosesten Selbstüberschätzungen unserer Gesellschaft sein.

Glaubt man den Propheten der Wachstumsidee, so müsste man die Marktkräfte allein nur walten lassen, um der ganzen Welt Wohlstand und Frieden zu bringen, doch stösst diese Ideologie schnell an die Grenzen der Nationalstaaten: 89 Staaten der Erde sind in den letzten zehn Jahren ärmer geworden, ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Armut, 800 Millionen haben nicht genug zu essen. Die 358 bekannten Dollarmilliardäre der Welt besitzen etwa soviel wie die Hälfte der Weltbevölkerung (alle Daten UN 1996). Selbst wenn der Kapitalismus seine nationalen Egoismen überwinden und die Dritte Welt an seinem Wachstum beteiligen würde, so stieße dies an eine zweite Grenze: die des ökologischen Gleichgewichtes. Zur Zeit verbraucht weniger als ein Viertel der Weltbevölkerung drei Viertel der natürlichen Ressourcen und produziert dafür auch drei Viertel der Abfälle. Wollte man nun alle Menschen der Erde über Wirtschaftswachstum auf unseren Wohlstandslevel heben, so würde die Umweltzerstörung entsprechend um ein Vielfaches zunehmen; was sich schon jetzt als globale Katastrophe andeutet, zur Gewissheit werden. Das Feilschen in Rio um marginale Prozentpunkte wäre angesichts dieser Steigerungen völlig obsolet.

Es scheint kaum vorstellbar, diese Situation aufzulösen, ohne dass die reichen Nationen der Welt, zu denen wir gehören, auf Teile ihres Vermögens verzichten müssten. Das über alles geliebte Auto, der kurzentschlossene Trip in ferne Länder, das eigene Heim, der Zweitfernseher, die Überfülle an exotischen Lebensmitteln; all das, was manche hier gerne als Existenzminimum für ein lebenswertes Dasein definieren würden, könnte verloren gehen. Da jedoch hört der Spaß auf, auch bei den Aufgeklärtesten; der Anteil von fünf Prozent, um den sich die Grünen einpendeln, scheint als Ausdruck schlechten Gewissens genug, birgt jedoch keine Gefahr realen Handelns.

Auch die im nationalen Vergleich Ärmeren scheinen sich der Tatsache bewusst, dass sie global gesehen im Reichtum leben, eine wirkliche Gerechtigkeit aber nicht an Staatsgrenzen Halt machen könnte. So werden keine Lösungen diskutiert, weiter entwickelt und erprobt, sondern Rituale veranstaltet, wie das "Bündnis für Arbeit", an dessen Erfolg ohnehin niemand glaubt - ein Tanz um das Goldene Kalb.

Shiva Naipaul: Bombay no good, Sahib. Geo 12/1978
Hesse/Schrader: Die Neurosen der Chefs. München 1996
Studie der Fachhochschule Köln 1996. In: Frankfurter Rundschau 2.6.1996

Florian Wüst, D

Gegen den gesunden Menschenverstand oder: zum Wert der Arbeit

Alle reden von Arbeit. Vom notorischen Gebrauch dieses Wortes kann ich mich selbst genauso wenig ausnehmen. Das Gros der Tätigkeiten heißt schlicht Arbeit, der selbstständige Kulturschaffende kann sich's leisten.
Franz Schandl fragt mit Recht, ob wir überhaupt wissen, wovon wir sprechen, wenn wir von Arbeit reden. Schon die deutsche Sprache erschwert das Verständnis, indem sie nicht wie das Englische zwischen "work" und "labour" unterscheidet. Weiter führt er aus: "Gegen den gesunden Menschenverstand gilt es festzuhalten: Arbeit ist auf den Markt bezogene Tätigkeit zum Zwecke der Verwertung". Arbeit wäre also dem modernen Homo Oeconomicus eine Notwendigkeit, Arbeit bedingt Kapital und umgekehrt.

Auch so in den Hemisphären der Neuen Ökonomie? Kapital scheint sich selbst zu akkumulieren, die Dienstleister sorgen für den staufreien Verkehr von Information, die menschliche Produktivkraft steht zur Rationalisierung wie alte Ware im Regal. Das Problem mit der Arbeit ist dann nicht, dass sie unfrei macht, sondern dass es selbst unter dem Gesetz des Wertes keine mehr gibt, wenigstens nicht dort, wo sie bisher war. "Künftig wird Arbeit wieder mehr begriffen werden als etwas, was man tut, und nicht als etwas, was man hat." (Klotz)

Maurizio Lazzarato nennt das "Massenintellektualisierung". Seit Anfang der siebziger Jahre schließe manuelle Arbeit zunehmend intellektuelle Tätigkeiten mit ein, "während die neuen Kommunikationstechnologien Subjektivitäten erfordern, die reich an Wissen sind. (…) Seid Subjekte, lautet daher die Direktive und wird zum Slogan der westlichen Gesellschaften" (Lazzarato). Das Wissen der Beschäftigten der Informationsgesellschaft würde zum relevanten Kapital, die klassischen Abhängigkeiten verkehren sich in ihr Gegenteil. Neal Stephenson beschreibt in seinem Cyberpunk-Bestseller "Snow Crash" die Nervosität eines kruden Unternehmers:

"When I have a programmer working under me who is working with that information, he is wielding enormous power. Information is going into his brain. And it's staying there. It travels with him when he goes home at night. It gets all tangled up into his dreams, for Christ's sake. He talks to his wife about it. And, goddamn it, he doesn't have any right to that information. If I was running a car factory,
I wouldn't let workers drive the cars home or borrow tools. But that's what I do at five o'clock each day, all over the world, when my hackers go home from work."

Bezeichnenderweise gelten die Softwareentwickler und Ingenieure in den Unternehmen der Informations- und Telekommunikationsindustrie "als "Künstler": geniale Erfinder technischer Lösungen, die sich aber nicht den Vorgaben industriell geplanter Produktionsprozesse unterwerfen und den Gewinnerwartungen des Unternehmens und oft auch den Erwartungen der Kunden nicht die gewünschte Bedeutung zumessen" (Baukrowitz und Boes).

Das macht alles nichts. Deregulierte Arbeitsmodelle gepaart mit dem Ambiente von Innovation, Kreativität, Individualität und Zukunftsorientiertheit stehen heute ganz oben auf den Spickzetteln der Marketingstrategen, vorformatiert von denjenigen "Künstlern", die weniger das Problem haben, ohne Arbeit zu sein, sondern gegebenenfalls ohne Zahlungsmittel dazustehen.

Doch genauso wie sich Lazzarato gezwungen sieht, die Subjektwerdung der hoch-informierten Erwerbstätigen gegenüber der Normierungsmacht der Unternehmen zu relativieren, ist kaum daran zu denken, dass vier Millionen Arbeitslose in Deutschland jemals in den Genuss einer Umschulung zum selbstbestimmten Hacker kämen. Gegen die rhetorische Vision wettert nach wie vor am lautstärksten die industriegesellschaftliche Lebensformel von der Aufspaltung in produktive Arbeit und konsumptives Leben. Solange die Bewertung von Arbeit an die Logik der Verwertung gebunden ist, gilt es gegen den gesunden Menschenverstand festzuhalten: Wer keine Arbeit hat, hat eigentlich nichts zu tun.

Die Krise der an Autoaggression im Stadium des Spätkapitalismus erkrankten "westlichen Zivilisation" ist fundamental genug, dass bisher niemandem ein Überblick gelingt. Die von Hannah Arendt beschriebene Bedingtheit des menschlichen Tätigseins unterläuft die Landesgrenzen jeglicher Ideologien. Diesmal gibt's kein Ausserhalb - sowas hat's noch nie gegeben.

Die Suche nach Antworten bleibt fieberhaft. Wo keine Antworten sind, stellt man weiter Fragen. Sicherlich, um sich selbst zu beruhigen. Aber vielleicht werden ja die Fragestellungen auch immer besser, was filmisch ausgedrückt hiesse, zu versuchen, die Perspektiven zu wechseln. Diese Anregung könnte hier zumindest gelten als Untertitel zu den Film- und Videoprogrammen von real[work].

Schandl, Franz: Das Heldenlied der Arbeit steht vor seinem Abgesang. Frankfurter Rundschau 27.4.2000
Klotz, Ulrich im Gespräch mit Ina Hönicke: Hierarchien sind die wahren Ideenkiller. Frankfurter Rundschau 3.4.2000
Lazzarato, Maurizio: Immaterielle Arbeit, in: Umherschweifende Produzenten. Berlin 1998, S. 40 - 42
Stephenson, Neal: Snow Crash. New York 1992, S. 116
Baukrowitz, Andrea und Boes, Andreas: Ein neuer Arbeitskrafttyp entsteht. Frankfurter Rundschau 2.3.2000

Marcel Schwierin & Florian Wüst

real[work] - Zur Auswahl der Film- und Videoprogramme

Die inhaltliche Ausrichtung der diesjährigen Werkleitz Biennale legte nahe, sich nicht ausschliesslich auf den Bereich der originär künstlerischen Arbeiten - Experimentalfilm und Videokunst - zu beschränken, sondern auch dokumentarische Ansätze mit aufzunehmen. Die von uns getroffene Auswahl will das Thema nicht buchstäblich einlösen (etwa auf den reichen Fundus der Filmgeschichte zur industriellen Arbeit zurückgreifend), sondern Filme und Videos präsentieren, die einen neuen Blick auf die komplexen Bezüge zwischen Wirklichkeit und Begriff von Arbeit ermöglichen.

Drei "klassische" Dokumentarfilme - mit scheinbar wertfrei, aber präzise beobachtenden Kameras - beschreiben die Konditionierung des Menschen auf die Neue Arbeitswelt:

"Ziele: Die Schulung" von Harun Farocki zeigt das Training des Managers (der zeitgenössische Held der Arbeit), dessen Sprache, Mimik und Gestik sich einem festgelegten Kanon überzeugten Optimismus anpassen muss.

Dominik Wessely dokumentiert in "Die Blume der Hausfrau" den vielleicht einzigen Job, der in Überfülle angeboten wird: Vertreter. Als Dienstleister ist er Prototyp der zukünftigen Arbeitsmodelle zwischen unternehmerischer (Sub-) Selbständigkeit und leibeigenhaftiger Abhängigkeit gegenüber industriellem Auftraggeber und König Kunde.

In "Crazy English" geht der Lehrer Li Yang einen bizarren Weg zwischen kollektivem Sozialismus und individualistischem Kapitalismus, indem er stadionweise den Chinesen von seiner wortschöpferischen Grammatik des globalen Wettbewerbs predigt.

"Roger & Me" und "The Target Shoots First" dagegen sind in ihrem Ansatz weit subjektiver. Während ersterer die Perspektive entlassener Arbeiter einnimmt, filmt Wilcha in der Tradition des experimentellen Diary-Films seine eigene Arbeitswelt in der Marketing-Abteilung des Musikgiganten Columbia House. Dezidiert beschreibt er, wie er ungewollt mit seinen kreativen Ideen die Entwicklung effektiverer Betriebsstrukturen und Vermarktungsstrategien vorantreibt. Sogar seine kritische Reflexion dieser Instrumentalisierung wird letztlich als Beitrag zur Unternehmenskultur verstanden.

Zentrales Moment blieb für uns jedoch die Frage, was Film- und Videokunst zu der Problematik der Arbeit beitragen können. Bewusst haben wir dabei sowohl in der Zusammenstellung als auch in Titeln und Beschreibungen der einzelnen Programme provozierende Formen gewählt. Uns geht es darum, die festgefahrene Debatte wenigstens für den Zeitraum des Festivals in eine etwas lebendigere zu verwandeln, die die Umgestaltung der Arbeit nicht nur als soziale Katastrophe, sondern auch als Chance sieht, ein neues Verhältnis zu dem zu bekommen, was in unserer Gesellschaft zwar Arbeit heisst, aber immer nur das Paradigma der Verwertung meint.

leisure [work] - Brüder zur Sonne, zur Freizeit!

Marcel Schwierin


Die Freizeitgesellschaft scheint die einzige Antwort des Spätkapitalismus auf den Mangel an Arbeit zu sein; wobei absurderweise gerade die, die Lohnarbeit nicht mehr ausüben dürfen, also reichlich freie Zeit haben, mangels Geldes von ihren Aktivitäten ausgeschlossen werden.

Die Raketenstarts und -unglücke in "Dein ist mein ganzes Herz" setzen an den Hoffnungen der 60er Jahre an - die brillante Zvilisationskritik von Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssee" und Bruce Conners "A Movie" aufgreifend - dem irdischen Leben und seinen Begrenzungen entkommen zu können und werden so zur Karikatur phallischer Übermachtsphantasien. Die explodierenden Träume entsprechen ihrem Scheitern, sind andererseits jedoch, wie alle Katastrophen im Medienzeitalter, wesentliches Element der Unterhaltung, wie die gesamte Raumfahrt im Nachhinein daraus ihre zentrale Berechtigung abzuleiten scheint: vom Science-Fiction bis hin zur Satellitenschüssel.

"Kustom Kar Kommandos" dagegen fetischisiert und ironisiert ein weit verbreitetes Ritual, die geliebte Bastelei am Automobil, dem bequemen Nachfolger der wilden Freiheit auf dem Pferderücken, in der der Mann - ganz im Gegensatz zu seinem üblichen Rollenverhalten - auch selbst den Feudel schwingt; was ansonsten in der Freizeitgesellschaft doch lieber den gleichermassen billigen wie rechtlosen EinwanderInnen überlassen wird.

Wie in den vorangegangenen Arbeiten steht auch in "Ich mache die Schmerzprobe" ein technisches Gerät im Mittelpunkt, der Studiotrainer. Während in Arbeit und Alltag jegliche Bewegung und körperliche Anstrengung mit Hilfe von Maschinen, Autos, Rolltreppen, elektrischen Küchengeräten und Fernbedienungen vermieden wird, kehrt sich in der Freizeit die Rolle der Maschine um und dient nun der beschwerlichen Mühe, den eigenen Körper an die herrschenden Schönheitsvorstellungen anzupassen.

In "All You Can Eat" wendet sich der Blick von den Verbrauchern der Freizeitunterhaltung zu ihren Protagonisten. Die schwitzenden, anonymen Körper der Pornodarsteller werden durch die Reduktion des Filmbildes auf ihr Gesicht wieder re-individualisiert; deutlich sieht man die Mühe der schweren Arbeit, die mit der Lust, die sie darstellen soll, nicht das Geringste zu tun hat. Der darunter gelegte dümmlich-suggestive Schlagzeugkurs vom Band, der wiederum gemacht wurde, um die Mühen der Instrumentenbeherrschung möglichst angenehm und billig zu gestalten (wegrationalisierter Lehrer), wird zum Hohn des stupiden Fumpens. "One, two, three, four. It's really very simple. Now we get back again to some more complicated rhythm."

"Long Weekend - XTC" spiegelt das Lebensgefühl einer neuen Generation, die in exzessiven Dauerparties eine Art von Schwerstarbeit vollbringt. Der klassische Lebensrhythmus des Lohnarbeiters, der sich die Woche über verausgabt, um am Wochenende seine Arbeitskraft zu rekonstituieren, wird hier umgekehrt; die Woche dient der Freizeitgesellschaft zum seelenlosen Dahindämmern in der ungeliebten Tätigkeit, die Energien erwachen mit ihrem Ende.

Durch seinen imaginären Fight gegen eine Lampenstrippe wandelt "Exercise (Boxing)" die mühelose Tätigkeit des Lichtverlöschens in ein archaisches Drama, Relikt einer Epoche des Kriegers, gleichermassen schweisstreibend wie sinnlos. Als Anti-Prometheus steht er für die Sehnsucht des Menschen nach dem Dunkel, der Verweigerung von Reflektion und Aufklärung (enlightment), deren technisches Symbol die Glühbirne ist, und verweist so auf den letztlichen Grund für das Scheitern der hochgesteckten Hoffnungen der Moderne.

1 Leonid Petrowitsch Radin: Brüder zur Sonne, zur Freiheit. Russland um 1905

gender [work] - Zur Technologie des Geschlechts

Florian Wüst

Die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen erscheint ungebrochen gültig im Prospekt der globalisierten Arbeitswelt: Ob es um die Chancen auf Anstellung in Führungsebenen, die Festsetzung des Einkommens oder um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz geht, Frauen ziehen nach wie vor den Kürzeren im Wettbewerbsrahmen grenzenloser Ökonomie. Inwieweit nun der Trend zur immateriellen Arbeit auf die soziale und historische Konstitution der Rolle der Frau durchschlägt, bleibt äusserst fraglich. Denn während inmitten der Transformation zur High-Tech-Informationsgesellschaft die (männliche) Arbeitskraft als Ware verlorengeht, wird an ihrem unteren Ende - seien es die Maquiladoras in den Chip-Fabriken an der mexikanischen Grenze zu den USA oder MigrantInnen ohne Papiere, die in deutschen Haushalten für Hungerlöhne putzen - der Warencharakter der weiblichen Körper und Identitäten umso deutlicher und todbringender festgeschrieben.

Die folgende Auswahl an Filmen und Videos reflektiert die Bezüge zwischen konkreten Arbeitsbedingungen für Frauen, der ständigen Re-Konstruktion von Geschlechterunterschieden, der (post)feministischen Kritik an sowie künstlerischen Aktionen gegen die Naturalisierung von Repräsentationsmustern.

Lana Lin's "I Begin To Know You" formuliert einen Bilderkanon der tradierten Rolle der Frau als hauswirtschaftliche Produzentin und Dienstleisterin. Unter der scheinbaren Fixierung des weiblichen (Arbeits)platzes in der Welt lauert hier jedoch eine konspirative Widerständigkeit der Betroffenen. Der terroristische Akt lässt nicht lange auf sich warten - zumindest in diesem Programm.

In "Semiotics of the Kitchen" verkehrt Martha Rosler, eine der wichtigsten Protagonistinnen feministischer Videokunst in den siebziger Jahren, die vertrauten Konnotationen von Küchengegenständen zu einer Grammatik aus Aggression und Wut. Die Küche wird zum Kriegsschauplatz gegen die Mythen des häuslichen Alltagslebens.

Frances Scholz rekonstruiert in "Wir kennen uns übrigens" die Geschichte der beruflichen Utopie einer Unternehmerin, entworfen im politisch-emanzipatorischen Bewusstsein der späten sechziger Jahre. Das Spiel der performativen Aneignung filmhistorischer Bezüge zeigt die Suche nach der eigenen künstlerischen Identität: "Angesichts der unmenschlichen Situation bleibt dem Künstler nur übrig, den Schwierigkeitsgrad seiner Künste zu erhöhen." (Kluge)

Zurück auf die Fussböden der Tatsachen führt der A-clip Beitrag "Respeto y Justicia!". Darin kommen Frauen zu Wort, die in der häuslichen Mitte der bürgerlichen Ordnung schuften - unsichtbar und ohne Rechte. Das Ausbleiben der Bezahlung wird dann mit der Drohung erpresst, dass sonst eine Anzeige wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland erfolge. Als zweiminütige Inserts für die Werberollen kommerzieller Kinos produziert, greifen die A-clips ohne Umwege in die schneidigen Bildwelten westlicher Prosperität.

Der Wirklichkeit der Ausbeutung, Sexualisierung und seriellen Ermordung von Frauen im mexikanischen Grenzort Ciudad Juarez begegnet Ursula Biemann's Videoessay "Performing the Border" mit einem vielschichtigen Diskurs zur exemplarischen Bedeutung dieses Ortes. Die Metapher der Grenze als offene Wunde verweist auf die Markierung von Körpern, "die im endlosen Takt der neuen internationalen Arbeitsteilung aufgerissen und geschlossen, konsumiert, reproduziert und als weiblich fixiert werden." (Volkart)

Kluge, Alexander: Artisten unter der Zirkuskuppel: ratlos. Deutschland 1968
Volkart, Yvonne: Kriegszonen: Körper, Identitäten und Weiblichkeit in der High-Tech Industrie.
springerin Band 5 Heft 2 1999, S. 42

heroic [work] - Der Neue Mensch

Marcel Schwierin

Die Glasarchitektur bringt die europäische Geistesrevolution, sie macht aus einem beschränkten, eitlen Gewohnheitstier einen wachen, hellen, feinen und zarten Menschen.
Hermann Finsterlin

Die Idee des Neuen Menschen war für die gesamte Moderne bestimmend; in der Hoffnung, dass er in der Lage wäre, sich grundlegend zu wandeln, wenn man die Bedingungen seines Lebens entsprechend ändere. Am radikalsten wurde dieses Projekt in der Sowjetunion umgesetzt, sie galt als Modellfall, der, so erfolgreich, für alle anderen Länder Vorbild sein sollte. Zentrales Moment in dieser gewaltigen Umgestaltung war, den Marxschen Theorien folgend, die Arbeit. Heraus kam schliesslich jedoch nicht der Neue Mensch, sondern seine Karikatur, der Homo Sovieticus.

Der Traktor war das vielleicht wichtigste Fortschrittssymbol in der sowjetischen Filmpropaganda; er sollte mit seiner technischen Kraft das agraische Zarenland ins 20. Jahrhundert ziehen; er garantierte die Besiegung der schrecklichen Hungersnöte. "Traktora" unterlegt gefundenes Propagandamaterial mit einer fiktiven Off-Stimme, die sich zu einer orgiastischen Hymne auf die fetischisierte Maschine steigert; das rationalistisch-technokratische Menschenbild wird auf seine Triebstruktur zurückverwiesen.

Vladimir Tyulkins Film "Lord of the Flies" steht in der literarischen Tradition Jules Vernes Erzählung "Zwei Jahre Ferien", in der er Schüler beschreibt, die nach einem Schiffsunglück eine vernunftbasierte, ideale Gesellschaft errichten. William Goldings Erzählung "Lord of the Flies" von 1954 nimmt das Motiv der gestrandeten Kinder auf, entwirft aber, sehr viel realistischer, den Aufbau einer Gewaltherrschaft im Miniaturformat.

Die Figur des Fliegenvernichters in Tyulkins Film hat viele Aspekte, als postkommunistische Variante des Hippie-Aussteigers steht er für den improvisierten Gartenbau auf der Datscha, mit der viele Sowjetbürger nach der Perestroika ihr Überleben auf primitivem Niveau sicherten. Er pendelt zwischen dem Zerrbild des neuen Unternehmertums - immerhin hat er in seinem Hof einen eigenen Wirtschaftskreislauf geschaffen - und der Inkarnation der letzten Stalinisten, die die Erde noch immer von ihren Feinden säubern wollen. Die Fliegen wiederum haben eine lange Tradition in der sowjetischen Ikonographie: Ihre Maden im Kantinenfleisch sind der Auslöser der Revolution im Panzerkreuzer Potemkin, stellvertretend für das verfaulte Zarensystem, eine Metapher die später ebenso für das nicht minder heruntergekommene Sowjetsystem stand, wie in den Arbeiten Ilya Kabakovs. Gleichzeitig galten Fliegen schon immer auf Grund ihres massenhaften Auftretens und ihrer kurzen Lebensdauer als wertloses Leben, was in der Vernichtungsabsicht auf den GULAG verweist, aber auch auf ihre ideale Disposition als wissenschaftliches Versuchsmaterial, so wie die sowjetischen Menschen im sozialistischen Experiment. Eine besondere Aktualität bekommt der Film daher nicht nur durch den Tschetschenienkrieg mit seiner unverhohlenen Säuberungsterminologie, sondern auch in der Gentechnologie, die zunächst mit Fliegen begann (Craig Venter wird seit seiner Entschlüsselung eines Taufliegen-Genoms ebenfalls als "Herr der Fliegen" bezeichnet) und sich nun im Menschen fortsetzt. Und tatsächlich feiert mit der Gentechnologie auch wieder die Vorstellung eines Neuen Menschen Auferstehung.

Hermann Finsterlin, 1920 (Korrespondenz der Gläsernen Kette)

needless [work] - Autonomie und Verweigerung

Marcel Schwierin

Künstlerische Tätigkeit als Antipol zu dem, was im Spätkapitalismus ausschliesslicher Sinn der Arbeit ist: der Erwerb. Während "Kugelkopf" und "Ein bewährter Partner" sich direkt mit der Arbeitswelt auseinander setzen, sind alle anderen Werke radikale Verweigerungen der Mittel-Zweck-Relation; die Beschäftigung ist mühsam, führt aber zu Nichts.

"Hand Catching Lead" (lead = Blei) reduziert die Arbeit auf eine einfache Geste, die zwar alle Attribute der Arbeit trägt (Material, Schmutz, Anstrengung), deren Zweck aber durch den Ausschnitt nicht erkennbar ist, kaum anders als in der modernen Fabrikation, bei der der Einzelne oft nicht mehr das Produkt kennt, an dem er gerade arbeitet.

Die weisse, lebensspendende Milch in "Untitled (Sex)" steht in deutlichem Kontrast zu dem giftigen Metall; dennoch wird hier die erste Tätigkeit des Menschen, das Milchtrinken, durch die Umkehrung des Körpers zur Quälerei.

Die absehbar fruchtlosen Bemühungen Baldessaris mit der unbelehr- wie undankbaren Topfpflanze in "Teaching a Plant the Alphabet" offenbaren den kaum minder grossen Unsinn, der in einem Grossteil menschlicher Arbeit steckt: von EU-Bauern, die ihre Ernte allein für die anschliessende Vernichtung einbringen, über die Herstellung überflüssigster Haushaltsgeräte bis hin zu den Arbeiten, die lieber überhaupt nicht getan werden sollten, wie zum Beispiel militärische. Aktuell verweisen sie auf die Gesellschaft des "lebenslangen Lernens" und der permanenten Umschulungen.

Die Anpassung des Menschen an den Produktionsablauf, die im Fordismus bis zur Perfektion getrieben wurde, übersteigert Mara Mattuschka indem sie in "Kugelkopf" ihren Körper zum Bestandteil der Maschine macht. Zwischen rationalisierter Technik und emotionaler Archaik scheint das Individuum zu zerreissen. Um so merkwürdiger ihr Versuch, den fertigen Film an IBM zu verkaufen; weniger erstaunlich dagegen die konsternierte Reaktion der Manager.

In "One Year Performance 1980 - 1981" ändert sich die Verweigerung ins Existentielle: ein ganzes Jahr, 24h am Tag, im stündlichen Rhythmus der Stechuhr, mit dem einzigen Ergebnis, dass dieses dokumentiert wird. Die totale Hingabe der 168h-Woche steht im Kontrast zur völligen Zwecklosigkeit des Tuns.

Die unendlich gedehnte und dann filmisch komprimierte Erfahrung wird in "Rest Energy" auf vier Realminuten konzentriert, in der Abramovic vor einem gespannten Sportbogen ihr Leben riskiert.

"Ein bewährter Partner" ist ursprünglich ein Werbefilm, der Berührungsängste vor dem Computer abbauen ("Bewährter Partner") und die Beschleunigung der Produktionsprozesse propagieren sollte. Er wird im Kopierprozess um ein Vielfaches verlangsamt, dabei in ein rhythmisches, an menschlichen Atem erinnerndes Pulsieren gebracht. Sowohl dieser Wechsel zwischen Licht und Nicht-Licht als auch das auf Schwarz und Weiss reduzierte Material reflektieren den binären Code im Physikalisch-Chemischen; der digitalisierten Maschinenwelt wird ein älteres, hier magisches Weltbild entgegengestellt.

global [work] - Roger & die Cybraceros

Marcel Schwierin

Michael Moore schildert in seinem brilliant komischen Dokumentarfilm den Niedergang der Autostadt Flint nachdem General Motors dort das zentrale Werk nach Mexiko verlegt hat. Die gleichermassen verzweifelten wie hoffnungslosen Bemühungen der Stadt, aus dem verlassenen Industriezentrum doch noch etwas Verwertbares im Sinne des modernen Unterhaltungsbusiness zu machen, ein Luxushotel, eine Shopping-Mall, schliesslich eine "AutoWorld", erinnern nicht nur an manch ähnliche Projekte in Deutschland, sondern auch an die bizarr anmutenden Versuche, Langzeitarbeitslose zu Informatikgenies umzuschulen.

Fraglich bleibt jedoch, ob seine präzise Situationsbeschreibung vor Ort der Komplexität globaler Probleme wirklich gerecht zu werden vermag (wie sich das Medium Film überhaupt schwer tut, die mehr und mehr immateriell werdenden Wirtschafts- und Arbeitsprozesse darzustellen; vergleiche hierzu auch Baumgärtel 1). So wäre durchaus zu diskutieren, ob die Arbeitsplätze im armen Mexiko nicht sehr viel nötiger sind als in den überreichen USA. Der Manager "Roger", den er nach amerikanischer Pioniersart als allein verantwortlichen Schurken zum medialen Showdown Mann gegen Mann fordert, ist letztlich den selben Marktgesetzen unterworfen wie die von ihm entlassenen Arbeiter; wobei im Spekulationszeitalter die tatsächliche Relevanz einer Standortverlagerung kaum noch eine Rolle zu spielen scheint, weit mehr dagegen ihre Wirkung auf die hypernervöse Anlegerpsyche.

"Why Cybraceros?" entwickelt eine grundsätzlich andere Sicht auf die Problematik der Globalisierung; nicht die allmächtigen und wie Politiker leicht zu verdammenden Wirtschaftstycoone, sondern die amerikanische Gesellschaft als Ganzes werden von Alex Rivera in die Verantwortung genommen. Ihr schizophrener Wunsch nach Billigstarbeitern für nicht-rationalisierbare Drecksarbeit bei gleichzeitiger, aggressiver Verteidigung ethnischer Homogenität ist ein in Deutschland ebenfalls nur allzu bekanntes Phänomen.

1 Baumgärtel, Tilman: "You've just been erased!" In: Katalog Sub Fiction, Band 2. Werkleitz 1998
corporate [work] - Do you know where your brains are?

Florian Wüst

KünstlerInnen und AktivistInnen haben über die letzten Jahrzehnte Praktiken zur subversiven Aneignung der Terminologien und Arbeitsweisen von Politik, Wirtschaft und Medien entwickelt. Paper Tiger Television in New York ist eines der bedeutenden Beispiele dafür, wie sich mit einfallsreichen Mitteln kritische Inhalte in die Arena der landesweiten Tele-Gemeinden übertragen lassen. Der eigene Camcorder und die Public Access TV Channels bergen das A und Z der Rezeptur: "Taking Control of our Images - and Lives."

Zielte Paper Tiger Television vor allem auf das Repräsentationsmonopol der Medien, so ist es am Beispiel der Künstlergruppe ®™ark die ungebundene Macht von Unternehmen, gegen die sich Aktionen und Diskurse richten.

®™ark ruft ArbeiterInnen, Angestellte und Selbstständige zur Beteiligung am zeitgenössischen Maschinensturm auf, bietet dabei jedoch selbst ein korporatives Format, in das es sich zu investieren lohnt. "®™ark has helped fund the sabotage or subversion of dozens of corporate products. As a privately held corporation, ®™ark allows investors to participate in blacklisted or illegal cultural production with minimum risk."

Die Radikalität dieser künstlerischen Praxis gewinnt durch die Potenziale des Internets eine neue Dimension, was der sogenannte "Toywar" (www.toywar.com) kürzlich bewies: In einer beispiellosen netzaktivistischen Kampagne gelang es der Netzkunstplattform etoy, ihren Domainenamen gegen die imperialen Ansprüche des E-Commerce Giganten eToys zu verteidigen. (Auffallend ist hierbei, dass das Spiel mit militärischen Jargons im "Toywar" letztlich einen Geschmack auf das heimliche Motto der Streitkultur unserer Tage gibt: Pazifismus der Linken, auf zum alten Eisen).

"As ordinary corporations are solely and entirely machines to increase their shareholders' wealth (often to the detriment of culture and life) so ®™ark is a machine to improve its shareholders' culture and life (sometimes to the detriment of corporate wealth)." So sehr das Maschinenhafte betriebswirtschaflicher Strukturen offensichtlich ist, braucht es weiterhin Personen, die ihre "Subjektivität" einsetzen, um die Verwertung um der Verwertung Willen am Laufen zu halten. Nachzusehen bei Harun Farocki: "Ziele: Die Schulung" dokumentiert die Lernprozesse männlicher Führungskräfte, die dazu dienen, sich im Alltag der Geschäftsverhandlungen, im Umgang mit Angestellten und Kunden zweifelsfrei behaupten zu können. Die Maximierung des Erfolgs ist nur durch maximale Identifikation zu gewährleisten. "Die Seele der Beschäftigen muss Teil des Unternehmens werden, hiesse das in der Sprache der heutigen Managementberater." (Lazzarato)

Schöne Aussichten also für den autonomen Geist im Aufwind immaterieller Arbeit. Oder wären Sie etwa interessiert an Alternativen? Dann schalten Sie getrost um auf ®™ark's Werbetrailer "Bringing IT to YOU!" Im Anschluss unterrichten Sie zwei VertreterInnen von ®™ark gerne über weitere Projekte und Angebote. Und nur zu, falls Sie Fragen haben!

Lazzarato, Maurizio: Immaterielle Arbeit, in: Umherschweifende Produzenten. Berlin 1998, S. 41
my [work] - Vom (berufs)tätigen Leben

Florian Wüst

Hinter den Koordinaten anonymer Statistiken, der Demoskopie der Einschaltquoten und der Amtssprache der Bezeichnungen verbirgt sich immer noch der einzelne Mensch. Wir sind weit genug entfernt von George Lucas "THX 1138" Vision, in welcher die Mitglieder einer gleichgeschalteten Gesellschaft nur noch als Nummern identifiziert sind im täglichen Einerlei aus Arbeit und Unterhaltung. Andererseits wissen wir nur zu gut, dass "alle menschlichen Tätigkeiten bedingt sind durch die Tatsache, dass Menschen zusammenleben" 1 (Arendt). Unser Sein lässt sich ohne ein gesellschaftliches Umfeld nicht denken, was bedeutet, dass die eigene Wirklichkeit immer gleichzeitig fiktionalisiert ist im Moment der Identifikation mit Rollenmustern und Wunschbildern. Es braucht schon lange keine totalitären Staatssysteme mehr, um in unserer Gegenwart der fortschreitenden Mediatisierung und Kommerzialisierung den ideologischen Zuschnitt individueller Lebensentwürfe zu produzieren.
Dieses Programm widmet sich dem Charme persönlicher Geschichten vom Leben, von der Arbeit(slosigkeit) und vom Tätigsein, die mit einfachen Mitteln vorgebracht und teils so treffend sind, als wären sie schlichtweg abgelesen von der Folie der grossen Erzählungen.

Die Muster "Familie Strassburger" stellt sich den Fragen Bill Meyers, der Mitte der achtziger Jahre eine filmisch-soziologische Untersuchung zum Alltagsleben in der DDR durchführen konnte. Mit verblüffender Überzeugungskraft und durchaus nicht unschlüssigen Argumenten stimmen Mutter, Vater, Tochter und Sohn eine Hymne auf die Gesellschaftsordnung der DDR an. Sämtliche Aspekte des Lebens in Beruf, Schule und Freizeit scheinen hier allein dazu verpflichtet, als sinnvolle Arbeit geleistet zu werden.

Die Abziehbilder des ideologischen Gegners, des "American Way of Life", folgen in "Meet The People". Shelly Silver choreographiert die Statements verschiedener Personen zu einem Stück über Lebensumstände, Karrieren, Träume und Hoffnungen. Am Ende entpuppt sich die scheinbare Authentizität der Charaktere als der Stoff für einen Bausatz massgeschneiderter Identitäten, bekannt aus Film und Fernsehen.

Mit "Zwischen vier und sechs" zeichnet Corinna Schnitt das wundersame Porträt einer (ihrer) Familie im Westen Deutschlands, in der die Strenge der eigenen Moral über alle Kategorien - von entfremdeter Arbeit bis zum Freizeitstress - erhaben scheint. Eine Parabel auf eine Mentalität, die ihre Beflissenheit selbst ausserhalb der Werktage nicht zu bändigen weiss.

Aufgepasst in den Rängen! Die Welt im Grunde so zu nehmen und lassen, wie sie ist, versprechen zumindest in "Wolkenbügel" die Aussicht und -sagen des Kranfahrers Hermann Wallner während seiner Arbeit. Alexander Binder und Stefan Hafner schaffen damit eine Relation zum wirklichen Leben, die oft genug verloren geht auf den Grossbaustellen der globalen Marktwirtschaft.

Wie als Gegenbild zu den avatarhaften Charakteren in "Meet The People" beschreibt der Filmemacher Stefan Hayn in "Ein Film über den Arbeiter" die eigenen Erfahrungen mit wechselnden Studentenjobs. Seine persönliche Reflexion über den Umstand der Erwerbsarbeit schneidet sich mit dem unverstellten Zeugnis einer Gegenwart, in der die grosse (Unternehmens)politik den Leuten mit der blossen Hand ins Leben greift.

In Sandrine Dryver's "Alter/Egaux" schliesslich erzählen Arbeitslose in kurzen und eindringlichen Statements sowohl vom Verlust ihrer Identität als auch von ihrem zwiespältigen Verhältnis zur Lohnarbeit. Deutlich spürbar wird die Unterschiedlichkeit der Diskurse in Deutschland und Frankreich: Während hier eine geradezu kriecherische Unterwürfigkeit der öffentlichen Meinung gegenüber den Herren des Kapitals zu spüren ist, gibt es im französischsprachigen Raum eine sehr viel aktivere und kritischere Auseinandersetzung, die sich keineswegs auf die Branchen der Feuilletons zu beschränken scheint.

1 Arendt, Hannah: Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München 1981. S. 27

[work] of violence – Die Neue Ordnung

Marcel Schwierin

Krieg vernichtet alles, was Menschen aufgebaut haben, er ist die Perversion der Arbeit. Dennoch ist Soldat zu sein ein Beruf wie andere auch: Es gibt Ausbildungen, Hochschulen, Talente, Karriereleitern; schliesslich Renten. Und es gibt Arbeitslose.

Die mehr als sinnlose Freizeitbeschäftigung der jungen Soldaten in "Coup de Boule" - sie schlagen mit dem Kopf gegen Türen - erinnert an Hospitalismus und lässt das Gefühl einer extremen Verrohung aufkommen. Es sind Übungen in Gewalt, der Fähigkeit, Bedürfnisse des eigenen Körpers zu missachten; einerseits physischer Ausdruck für die Akzeptanz antrainierter Wertlosigkeit des Individuums, andererseits aber auch Versuche die Zwangsorganisation symbolisch zu zerstören (und tatsächlich, die Spinde kriegen einiges ab).

"Es ist vorbei Johnny, es ist vorbei!"
"Nichts ist vorbei! Gar nichts! Ihr könnt nicht einfach aufhören. […] Wir sind durch die Hölle gegangen. […] Da drüben flog ich einen Hubschrauber, oder ich bin Panzer gefahren, ich war verantwortlich für eine Millionen Dollar Ausrüstung und hier krieg ich nicht mal einen Job als Parkwächter." Sylvester Stallone als Vietnamveteran in "Rambo" 1.

Den Zustand, den "The Crime That Changed Serbia" aufzeigt, ist typisch für Gesellschaften nach verlorenen Kriegen, die oft sehr jung eingezogenen Soldaten sind durch eine grausige Ausbildung gegangen, die ihnen als zentrale Werte nur Überleben, Töten, Rauben, Vergewaltigen und Männerfreundschaft hinterliess. Im Zivilleben mit seinen vergleichsweise komplizierten Strukturen kommen sie nicht zurecht; als Verlierer und damit einhergehend Schuldige sind sie auch gar nicht willkommen (durchaus jedoch den mafiösen Banden). Die Ausformungen dieser sozialen Destabilisierung sind unterschiedlich, nach dem Ersten Weltkrieg legten Veteranenverbände in Italien und die Freikorps der Weimarer Republik den Grundstein für Faschismus und Nationalsozialismus; in dem individualistischen System der USA schlugen sich Vietnamveteranen in die Büsche und lebten dort ihr bizarres Weltbild weiter. Allen Protagonisten gemein ist, dass sie ihren gelernten Beruf einfach weiterhin ausüben.

Doch kann man diese Zustände auch in einem weiteren Kontext sehen: seit Jahren warnen Sozialwissenschaftler vor den Folgen der strukturellen Arbeitslosigkeit, die ganze Bevölkerungsgruppen dauerhaft von der Erwerbsarbeit ausschliesst. Dort bilden sich die, die in unserer Leistungsgesellschaft als unfähige Faulpelze stigmatisiert werden, oft genug einhergehend mit ethnischer Diskriminierung, ihre eigenen Wertesysteme, orientiert an den Idealen des Heldenzeitalters: Stärke, Kampf, Familie.

"Werden die sozialen Folgeprobleme des Umbruchs in Ostdeutschland und darüber hinaus Osteuropa nicht gelöst, dann zeichnen sich schon jetzt Konsequenzen ab, die mit Sicherheit zu ganz neuen Kosten führen werden, nämlich solchen der innerstaatlichen wie der Aufrüstung nach aussen: gegen Radikale, gegen Armutsflüchtlinge, gegen Opfer von Bürgerkriegen, gegen nationalistisch überwölbte soziale Konflikte im Osten u. a. m. Es geht um soziale Interessen. Wofür soll der Reichtum dieser Gesellschaft verwendet werden: für sozialen Frieden oder für Polizei- und Militäraktionen." (Huster)2

1 Kotcheff, Ted: First Blood (aka Rambo). USA 1982
2 Huster, Ernst Ulrich: Unternehmen und Selbständige sind die Sieger im Verteilungskampf.
Frankfurter Rundschau 1.9.1993

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